Kohle oder Kanaren

Wir hatten im Tarifvertrag vereinbart, das Projekt Wahlmodell »Kohle oder Kanaren« zu resümieren und zu bewerten. Für ver.di-Mitglieder ist 2018 ein Wahlmodell verhandelt worden. Bis zu 5 Tage zusätzlicher Urlaub konnten aus dem Gehalt in Freizeit umgewandelt werden.

Die Ergebnisse der begleitenden Erfassung sind verblüffend.

Doch zunächst einmal die Fakten:

  • 63% der Mitglieder wählten Freizeit (70% davon sind Männer/30% Frauen).
  • Das Modell nutzen 56% der über 50-Jährigen, dementsprechend 44% der Jüngeren.
  • Überwiegend kam es zum Einsatz in technischen Berufen (67%) und in Vollzeitbeschäftigung (82%).
  • 73% gehören in die Gruppe der Neubeschäftigten  
  • Ein sehr großer Teil der Mitglieder, die mehr Urlaub wählten, ist in den Tarifgruppen E-H angesiedelt (81%) und schöpft den gesamten Rahmen von 5 Tagen voll aus (83%).

Fazit:
Die Mitglieder wollen das Wahlmodell in der kompletten Breite (5 Tage).

Der ältere vollzeitbeschäftigte Mann, der einen technischen Beruf ausübt, einen Neuvertrag besitzt und in den eher oberen Tarifgruppen und Tarifstufen angesiedelt ist, nutzt verstärkt das Wahlmodell. Für Kolleg*innen in den anderen Tarifgruppen ist der Urlaubstag (250 Euro mussten für einen Tag Urlaub aufgewendet werden und wurden nicht als Einmalzahlung ausgezahlt) überproportional teuer und das Geld interessanter.

In der Bewertung der anderen Fragen, die besonders den Arbeitgebern wichtig waren, stellte sich heraus, dass:

  • die Verwaltungskosten für das Modell nicht zu Buche geschlagen sind, also der Aufwand überschaubar und gering ausfiel,
  • bei Einstellungsgesprächen diese Sonderkonditionen (5 Tage mehr Urlaub) nicht ausschlaggebend für die TÜV-Bewerbung war,
  • bei Ausstiegsgesprächen (z.B. nach Eigenkündigungen) das Wahlmodell die Mitarbeitenden nicht am Gehen gehindert hat,  
  • allerdings die Fluktuationskurve nicht zugenommen hat, also Menschen beim TÜV bleiben wollen. Inwieweit das Wahlmodell für diese Entscheidung maßgeblich war, konnte nicht ermittelt werden.  
  • in Bezug auf den Einsatz von Personengruppen, die durch ihr Spezialwissen nicht ersetzbar sind, ein wirtschaftlicher Schaden verursacht wurde. Da die Personengruppe allerdings sehr klein ist und nachweislich der TÜV wieder ein exorbitant gutes Geschäftsjahr hinter sich hatte, ist der Schaden sehr überschaubar.  

Fazit:
Das Wahlmodell verursacht einen geringen Verwaltungsaufwand und erhöht im ersten Moment nicht die Attraktivität am Arbeitsmarkt. Es ist bei der sehr eingegrenzten Spezialistengruppe wirtschaftlich negativ spürbar, hindert das Unternehmen allerdings nicht daran, weiteres Wachstum zu generieren.

Bei dieser Bewertung müssen wir allerdings berücksichtigen, dass Arbeitgeber die ver.di-Mitgliedschaft nicht besonders erwähnt haben.

Das Feedback der Mitglieder sieht demgegenüber ganz anders aus:

  • Wir haben großen Zuspruch und Zulauf durch das Modell. In diesem Zeitraum haben sich 200 Menschen für eine Mitgliedschaft entschieden, auch um das Wahlmodell nutzen zu können.  
  • In den Tarifbefragungen wurde immer die Dringlichkeit und Wichtigkeit des Wahlmodells unterstrichen.
  • Die Mitglieder bleiben in ver.di, auch weil es eine zusätzliche Wahl nur für Mitglieder gibt.  
  • Kritik gibt es an den 250 Euro. Sie sind für viele ein verhältnismäßig zu hoher Einsatz für einen zusätzlichen Urlaubstag und müssten dem individuellen Gehalt angeglichen werden. 

Wie geht es weiter?

Nach der Evaluierung kommt die Verhandlung. Wir fühlen uns bestärkt in der Meinung, dass das Wahlmodell ein richtiger Weg für die Mitglieder ist. Wir nehmen mit, dass die Wahlmöglichkeit für Mitglieder eine essentielle Forderung ist und dementsprechend werden wir sie auch vortragen. Das bisher vereinbarte Modell hat deutliche Schwächen (250 Euro), die wir beseitigen wollen.

Denn eins ist klar: Wir verhandeln die Tarifverträge nur im Auftrag der ver.di-Mitglieder. Die Arbeitgeber öffnen unsere verhandelten Verträge ohne unsere Billigung für alle im Betrieb. Damit wird die Arbeit der Mitglieder entwertet, denn der Beitrag den sie zahlen, damit der Tarifvertrag zustande kommt, erscheint oberflächlich betrachtet unnütz, weil plötzlich alle in den Genuss des Tarifvertrages kommen und nur Mitglieder dafür zahlen (müssen). Der offensichtliche Hintergedanke dabei ist, dass unsere Verhandlungsposition geschwächt wird. Denn ver.di ist am Verhandlungstisch und auf der Straße nur so stark, wie die Mitglieder es zulassen.

Diese Wertaneignung muss durch den Arbeitgeber ausgeglichen werden. Dafür fordern wir immer wieder neue Möglichkeiten, den Einsatz und die Kraft der Gewerkschaftsmitglieder im Betrieb sichtbar zu machen. Dafür gibt es die jährlich abrufbaren zusätzlichen 255 Euro Mitgliedsvorteil und auch das Wahlmodell »Kohle oder Kanaren«.